Schutzpflichten der Behandler

Schutzpflichten der Behandler

Regelmäßig stellt sich im Rahmen der medizinischen Behandlung, egal ob in niedergelassener Praxis oder in einem Krankenhaus, die Frage der einzuhaltenden Schutzpflichten der Behandler. Wie weit müssen Behandler Ihre Patienten vor sich selbst schützen und wann haften Sie für Schäden der Patienten, die diese sich ggf. selbst zufügen?

Ein jetzt veröffentlichtes Urteil des OLG Hamm (Urteil vom 17.01.2017, 26 U 30/16)  beschäftigt sich mit dieser Problematik.

Der Fall

Im Januar 2011 wurde eine 1929 geborene Patientin in die Klinik der Beklagten eingeliefert. Einlieferungsgrund war ein Schwächezustand mit mehrfachem Erbrechen. Die Patienten hatte als Grunderkrankung eine fortgeschrittene Demenz und zeigte sich vom Aufnahmetag an sehr aggressiv, unruhig, verwirrt und desorientiert. Sie hatte zudem Weglauftendenzen und versuchte u.a. die Station zu verlassen.

Unter Medikation mit Melperon und Haldol kam es zu keiner Beruhigung bzw. Besserung des Zustandes. Einige Tage nach der stationären Aufnahme, stellte das Pflegepersonal des Krankenhauses ein Pflegebett vor die Zimmertür der Patientin, um diese am Weglaufen zu hindern. In der Nacht kletterte die Patientin aus dem Fenster und stürzte mehrere Meter tief auf ein Vordach. Sie zog sich hierdurch erhebliche Verletzungen zu, in deren Folge sie dann einige Zeit später verstarb.

Die Klägerin nahm die Klinik auf Ersatz der unfallbedingten Behandlungs- sowie Heil- und Hilfsmittelkosten in Anspruch.

Die Entscheidung

Nachdem die Klage in erster Instanz vor dem Landgericht abgewiesen worden war, hatte die Klägerin in der Berufungsinstanz vor dem OLG Hamm Erfolg mit der Klage.

Während das Gericht keine unzureichende medikamentöse Therapie feststellen konnte, stellte es jedoch eine Haftung der Klinik wegen Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag sowie einer Verletzung von Verkehrssicherungspflichten fest.

Die Beklagte hat die von ihr geschuldeten Schutzpflichten gegenüber der Patientin nicht hinreichend beachtet.

Zunächst stellte das Gericht fest, dass die Klinik eine vertragliche Fürsorgepflicht gegenüber den Patientinnen und Patienten hat. Mit der stationären Aufnahme eines Patienten übernimmt die Klinik nicht nur die Aufgabe der lege-artis-Behandlung, sondern auch weitergehende Obhuts- und Schutzpflichten. Diese verpflichten die Klinik dazu, die aufgenommenen Patienten im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden und Gefahren zu schützenm wenn der körperliche und/oder geistige Zustand dies erfordert.

Maßgeblich ist hierbei, ob im konkreten Einzelfall aufgrund des Zustands des Patienten aus der Sicht ex ante ernsthaft mit einer Selbstschädigung des Patienten zu rechnen ist, wenn keine Sicherungsmaßnahmen ergriffen werden.

Im zu beurteilenden Fall des OLG Hamm hatte die Patientin unberechenbares aggressives Verhalten mit Fluchttendenzen gezeigt. Die ruhigstellende Medikation war nicht erfolgreich.

Die zwar nachvollziehbare, unzureichende personelle Situation ist nach zutreffender Ansicht des Gerichts kein entschuldigendes Argument. Auch hätte die Klinik einen Fluchtversuch durch das Fenster in Betracht ziehen und dementsprechende Sicherungsmaßnahmen ergreifen müssen.

Vor dem Fenster standen Tisch und Stuhl, so dass ein Erreichen des Fensters durch hinaufklettern auf den Tisch offensichtlich möglich war. Das Klinikpersonal hätte somit Tisch und Stuhl entfernen müssen, um das Erreichen des Fensters zu erschweren. Gleichzietig hält das Gericht auch Anbringen von Verriegelungen an den Fenstern für effektiv und zumutbar. Auch hätte die Patientin auf eine geschlossene geriatrische Station oder eine andere im Erdgeschoss gelegen Station verlegt werden können.  Eine Aufnahme auf die konkrete Station hätte jedoch nicht erfolgen dürfen.

Der Versuch ein Weglaufen durch Blockade der Tür zu verhindern sein jedenfalls nicht ausreichend gewesen.

Fazit

Die Behandlerseite, nicht nur Krankenhäuser, treffen Schutzpflichten gegenüber den Patienten, die sich nicht allgemein gestalten, sondern am jeweiligen Patienten und dessen Zustand bemessen. Insofern ist den Behandlern anzuraten, im Krankenhaus- und Praxisalltag hinreichende Sicherungsmaßnahmen zu ermöglichen, um die Patienten vor Schäden durch sich selbst schützen zu können. Hierbei wird jedoch auf das regelmäßige Patientenklientel abzustellen sein, weshalb die Schutzpflichten in Krankenhäusernstrenger zu bewerten sein werden, als Schutzpflichten in niedergelassenen Praxen. Das Personal sollte jedoch stets daraf achten, ob Patienten eine Gefahr für sich selbst darstellen können und entsprechend zumutbare Sicherungmaßnahmen treffen.