Kopforthese keine Leistung der GKV

Kopforthese keine Leistung der GKV

Das Bundessozialgericht hatte sich mit der Frage zu befassen, ob die Versorgung von Säuglingen mit einer Kopforthese zur Behandlung einer Schädelasymmetrie beziehungsweise -deformation von der Krankenkasse (GKV) zu erstatten bzw. bezahlen sei. In den Entscheidungen vom 11.05.2017 (B 3 KR 17/16 R; B 3 KR 6/16 R; B 3 KR 1/16 R; B 3 KR 30/15 R) stellt das Bundessozialgericht fest, dass die Therapie von Säuglingen mit einer Kopforthese nicht von der Krankenkasse zu übernehmen sei, da es sich um eine neue Behandlungsmethode handle, für die der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine positive Bewertung abgegeben habe.

Die ausführliche Begründung des Bundesozialgerichts liegt derzeit noch nicht vor.

Warum Kopforthese?

Neugeborene sollten nach den medizinischen Empfehlungen (bspw. American Academy of Pediatrics von 1992) in den ersten Lebensmonaten bevorzugt auf dem Rücken gelagert werden, um einen plötzlichen Kindstod zu vermeiden. Seither verzeichnet man in Fachkreisen eine erhebliche Zunahme von lagerungsbedingten Schädeldeformationen. Diese zeigt sich u.a. durch eine asymmetrische Abflachung des Hinterkopfes mit einer Verschiebung des gesamten Schädels (vgl. Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012). Es kann zu einer Schrägstellung des Gesichtsschädels und eine Asymmetrie der Schädelbasis mit Verschiebung der Ohrpartie kommen (vgl. Schaaf et al in CraniofacSurg 2010, 1677 ff). In der kindermedizinischen Fachwelt werden auch spätere Entwicklungsdefizite als Folge der Schädelasymmetrie diskutiert (vgl. Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012). Studien zeigen u.a. auf, dass bei ca. 70 -95 % der Kinder mit einer langerungsbedingten Kopfasymmetrie eine Verkürzung der Halsmuskulatur mit Verdrehung des Kopfes festzustellen ist (vgl. Kane et al., Paediatrics 1996, 877).

Die Behandlungsmöglichkeiten reichen von Lagerungswechseln des Säuglings durch die Eltern über Physiotherapie bis hin zur Therapie mit einer Kopforthese (auch Helmtherapie genannt).

Die Lagerungswechsel durch die Eltern zeigen laut Fachkreisen in den ersten vier Lebensmonaten gute Erfolge, danach jedoch nicht mehr (vgl. Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012).

Die Therapie mittels Kopforthese zeigt jedenfalls bei deutlicher Schädeldeformation, wesentlich schnellere und effektivere Therapieerfolge auf (vgl. Stellungnahme der gemeinsamen Therapiekommission der Gesellschaft für Neuropädiatrie und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, 2012; Graham et al. Pediatrics 2005, 258; Vles et al. CraniofacSurg 2000, 572 ff.).

Die Entscheidung

Das Bundessozialgericht geht davon aus, dass schwere Formen der Schädelasymmetrie als Krankheit im Sinne des SGB V anzusehen sein können. Allerdings handle es sich bei der Therapie mittels Kopforthese (Helmtherapie) um eine neue Behandlungsmethode, die darauf abziele, das Wachstum eines Säuglingskopfes mithilfe eines Helms in eine symmetrische Kopfform zu bringen. Der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat für diese Behandlungsmethode noch keine Bewertung abgegeben, weshalb diese nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung aufgenommen sei.

Ein Ausnahmefall der lebensbedrohlichen Erkrankung oder eines Systemversagens würde nicht vorliegen.

Zudem stünden alternative Behandlungsmethoden wie Lagerungswechsel und Physiotherapie zur Verfügung.

Letztlich sei auch der Studienlage nicht hinreichend zu entnehmen, dass die unbehandelte Schädelasymmetrie zu anderen schwerwiegenden Erkrankungen führen würde.

Diskussion

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts stößt zumindest auf Bedenken.

Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst nach den §§ 11, 20 ff. SGB V die Krankheitsprävention und nach den §§ 11, 27 ff. SGB V die Behandlung von Krankheiten. Man mag nun darüber streiten, ob die Behandlung der Schädelasymmetrie zur Verhinderung anderer Erkrankungen oder  aufgrund eigenen Krankheitswertes geboten ist. Die fachwissenschaftlichen Stimmen dürften sich jedenfalls überwiegend einig sein, dass eine effiziente Behandlung von schweren Formen einer Schädelasymmetrie erforderlich ist.

Das Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung hat sich an der grundrechtlichen Pflicht des Staates zu orientieren, die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu schützen und zu fördern. Zwar soll nicht jede nur denkbare Form der Krankenbehandlung auf Kosten der Versichertengemeinschaft gewährt werden, um eine Unverhältnismäßigkeit von Beitrag und Leistung zu verhindern. Jedoch hat der Versicherte einen grundrechtlich geschützten Anspruch auf eine verfassungsgemäße Ausgestaltung und Auslegung des Leistungsrechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.04.2017, 1 BvR 452/17).

Die Ausgestaltung des Leistungsrechts obliegt jedoch einem Organ, dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) nach § 91 SGB V. Dieser entscheidet durch seine Voten, ob eine Therapievariante (egal ob Arzneimittelthreapie oder – wie hier- die Therapie durch andere Heil- und Hilfsmittel) zu den beanspruchbaren Leistungen der GKV gehört oder eben nicht. Damit konkretisiert der G-BA den grundrechtlich geschützen Anspruch auf Leistungen der GKV.

Diese Funktion des G-BA ist nicht unumstritten. Häufig wird die Frage aufgeworfen, ob der Gemeinsamen Bundesausschuss zu derart weitreichenden Entscheidungen berechtigt ist. Hieran bestehen durchaus gut begründete, verfassungsrechtliche Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht hat sich bislang einer Entscheidung hierzu enthalten, obgleich einige Verfassungsbeschwerden diese Bedenken zum Gegenstand hatten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.04.2017, 1 BvR 452/17; BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015, 1 BvR 2056/12). Die zuletzt genannte Entscheidung lässt jedoch zumindest am Rande erkennen, dass auch von Seiten der Bundesverfassungsrichter Bedenken gegen eine umfassende Berechtigung des G-BA bestehen können (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.11.2015, 1 BvR 2056/12).

Für die Kopforthese bei Säuglingen stellt sich die Frage, warum hierzu bislang keine Empfehlung des G-BA ausgesprochen wurde. Die Stimmen in der medizinischen Fachwelt legen nahe, dass mit dieser Therapieform eine sinnvolle, effiziente und wirksame Behandlung der Schädelasymmetiere vorliegt, wenn Lagerung und Physiotherapie keinen Erfolg zeigen.

Das Bundessozialgericht, im Gegensatz übrigens zu den Vorinstanzen, hält die Kopforthese für keine Leistung der GKV. Zuzugeben ist sicherlich, dass ein Fall einer unmittelbar lebensbedrohlichen Erkrankung nicht vorliegt, wie sie beispielsweise dem Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 06.12.2005 zugrunde lag. Allerdings zeigt die medizinische Wissenschaft durchaus erhebliche Veränderungen bei der Kindesentwicklung auf, die Krankheitswert haben und auf der Schädelasymmetrie beruhen. Auch wenn die Behandlung mittels Kopforthese auch unter den Medizinern diskutiert wird, ist doch eine hinreichende Studienlage anzunehmen, die es jedenfalls begründen müsste, die Kopforthese für schwere Verlaufsformen der Schädelasymmetrie und der Voraussetzung, dass Lagerung und Physiotherapie nicht zum Erfolg führten, als einzige verfügbare Behandlungsalternative anzunehmen.

Spätestens nach der aktuellen Entscheidung des Bundessozialgerichts -gegen die eine Verfassungsbeschwerde denkbar ist- sollte sich der G-BA berufen sehen, eine Entscheidung hinsichtlich der Kopforthesen-Therapie zu treffen.

Es bleibt jedoch abzuwarten, welche konkreten Erwägungen das Bundessozialgericht zu dieser Entscheidung veranlasst hat und ob diese einer verfassungsrechtlichen Würdigung, standhalten werden.